· 

Das dritte Adventskalendertürchen

Ich werde nicht wieder über die davonrasende Zeit jammern *lach* Die letzten Wochen des Jahres haben offenbar immer ein ganz besonderes Tempo. Deshalb muss man sich selbst immer wieder Momente zum Entschleunigen gönnen. Ein Bummel über einen Weihnachtsmarkt, ein kitschiger Film, ein gutes Buch oder eine kleine Bastelei ... Apropos Basteln ... Mister Schwängelbells und ich haben ganz schön zu kämpfen und hoffen inständig, dass wir am nächsten Wochenende auch eine besondere Kleinigkeit aus seinem Sortiment für euch haben. Manche Ideen lassen sich offenbar nicht so leicht umsetzen, wie es mir meine Fantasie vorgaukelt. Also drückt mir die Daumen und lasst euch überraschen.

Bevor ihr das nächste Kapitel lesen könnt, möchte ich mich dafür bedanken, dass euch der Anfang so gut gefallen hat. Eure Kommentare habe mich sehr gefreut.

Die folgenden fünf Menschen bekommen eine Weihnachtspost von mir

  • Susann
  • Sunny
  • Benjamin
  • Anna
  • Piccolo

Bitte schickt eure Adressen an nachricht[at]karostein. de. Es wird noch ein bisschen dauern, denn die Druckerei ist diesmal offenbar ein bisschen langsamer, aber die Karten werden euch hoffentlich vor Weihnachten erreichen.

Jetzt wünsche  ich euch einen schönen Samstag und viel Spaß mit dem neuen Kapitel.

 

 

3.  Thomas


Was passiert hier gerade? Natürlich weiß ich, dass Veit schwul ist. Als er mir – ich glaube, es war im dritten Lehrjahr – davon erzählt hat, erschien es mir wie eine Art Provokation. Er wollte meine Reaktion testen, vielleicht auch beweisen, dass er zu sich selbst steht. Zugegebenermaßen war ich eine Sekunde lang geschockt. Nicht wegen seiner Homosexualität, sondern wegen dem, was die Aussage mit mir gemacht hat. Die verbotene Frucht wurde in diesem Moment noch begehrenswerter und sündiger. Meine Fantasie spielte verrückt, denn die Anziehung, die ich von Anfang an nicht begreifen konnte, fühlte sich in gewisser Weise logischer an.
Ich schüttle über die seltsamen Gedanken den Kopf. Tatsache ist jedoch, dass ich Veit nicht aus meinem Bewusstsein bekomme. Dass er schwul ist, hat es ihm noch einfacher gemacht, sich in mein Herz zu schleichen, auch wenn er bisher nichts davon weiß.
Diese Situation gerade eben hat mich jedoch ziemlich verwirrt. Ich bin mir nicht sicher, wie ich mit Dennis Reaktion umgehen soll. Offenbar bin ich schon zu viele Jahre vom Markt. So offen und hemmungslos über Sex, insbesondere über schwulen Sex zu reden, ist mir wirklich fremd. Es ist irgendwie lustig und anregend, aber in erster Linie verstörend.
»Ich sollte ...«
»Es tut mir ...«
Wir halten beide inne und schauen uns grinsend an.
»Was wolltest du sagen?«, erkundigt sich Veit zuerst. Erneut zieht so ein süßer Hauch Röte über sein Gesicht.
»Ich schätze, ich sollte nach Hause gehen. Keine Ahnung, wie ich auf die Idee gekommen bin, hier einfach aufzutauchen.«
»Was? Nein, du ... Was ist mit der Pizza? Oder galt das Angebot nur solange, wie Dennis da war?«
Er mustert mich mit einem seltsam starren Blick. Ich lasse mir seine Worte noch einmal durch den Kopf gehen und gerate ins Stocken. Wie kommt er denn darauf, dass ich die Pizza wegen Dennis vorgeschlagen habe? Klang da etwa eine Spur Eifersucht in seiner Stimme mit? Das ist lächerlich. Vermutlich spielt mir mein Verstand erneut einen Streich. Trotzdem ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche.
»Welche Pizza darf es denn sein?«, frage ich mit gespielter Ernsthaftigkeit, während mein Herz vor Freude ein bisschen ausrastet. »Ich bestell am liebsten bei Alfredo. Die beste Pizza der ganzen Stadt, außerdem ist der Lieferservice schnell und ...«
»Der Pizzabote ist so verdammt niedlich«, beendet Veit meinen Satz mit einem breiten Grinsen. »Obwohl dir so etwas vermutlich nicht unbedingt auffällt.« Offenbar hat er gerade erkannt, was er gesagt hat und rudert nun zurück. Tatsächlich wollte ich auf die angenehmen Preise hinaus, was im Nachhinein aber eher geizig geklungen hätte. Das wäre jedoch ein guter Zeitpunkt, um ihn ein bisschen in die richtige Richtung zu schubsen, aber der Gedanke sorgt augenblicklich dafür, dass sich mein Inneres verknotet.
»Nun das ...« Ich halte kurz inne und atme tief ein und aus. »Kann durchaus sein. Ich ...«
»Sorry, das ist wirklich nicht wichtig«, behauptet er eilig. »Ich nehme ganz klassisch Salami.«
»Okay«, murmle ich und lenke mich damit ab, indem ich auf meinem Handy herumtippe und die Bestellung aufgebe. Ich bin so ein verdammter Idiot! »Wir haben eine halbe Stunde Zeit, bis die Pizza geliefert wird. Dann schauen wir mal, ob ich deine Behauptung bestätigen kann.«
»Tut mir leid. Ich habe das Gefühl, hier stehen überall Fettnäpfchen herum und ich springe mit Anlauf in jedes einzelne hinein.«
»Unsinn«, erwidere ich eilig und schüttle energisch den Kopf. »Wir wollen mal nicht vergessen, dass ich hier unangemeldet aufgetaucht bin. Ganz abgesehen davon, dass wir uns vorher noch nie in einem privaten Rahmen getroffen haben. Irgendwie seltsam, weil wir uns im Büro so gut verstehen, oder?«
»Du bist verheiratet, hetero und ein paar Jahre älter. Bisher gab es da ... na ja, nicht sehr viele Berührungspunkte außerhalb des Jobs.«
»Oh Gott, deine Ehrlichkeit ist gnadenlos«, jammere ich gespielt entsetzt.
»Nein, so ... so meinte ich das wirklich nicht. Was hätten wir denn gemeinsam unternehmen sollen?«
»Keine Ahnung«, gebe ich zu und zucke resigniert mit den Schultern. »Im Grunde hat sich an der Situation nicht wirklich viel geändert.«
»Tja, nun ... du bist hier und wir werden gleich Pizza essen und ... und ... Wir könnten einen Film oder eine Serie schauen.«
»Bier gibt es auch. Das klingt doch ziemlich perfekt.« Vorsichtig lächle ich ihn an und werde mit einem Strahlen überrascht, das mein Herz gleich wieder ein paar Takte schneller schlagen lässt. Ich sollte nicht so empfinden, aber wenn er mich jetzt einfach küssen würde, würde ich mitmachen. Verdammt, ich möchte ihn so gern küssen. Allein die Vorstellung sorgt dafür, dass mir ganz schwindlig wird. An das, was dabei gerade in meiner Hose passiert, will ich wirklich nicht denken.
»Vielleicht«, sage ich und muss mich räuspern, denn meine Stimme klingt dunkel und rau. »Vielleicht sollten wir, bis die Pizza kommt, die Küche aufräumen.«
»Das ist ein Scherz, oder? Ich kann doch nicht mit mir putzen. Du bist mein Gast und ...«
»Stell dich nicht so an. Willst du das Chaos allein beseitigen? Außerdem bist du doch ab Mittag auf dem Weihnachtsmarkt.«
»Ja, schon, aber ich ... also ich kann das morgen früh machen.«
»Den ersten Advent sollte man wirklich nicht putzend verbringen.«
Entschlossen gehe ich voran und schiebe die Ärmel meines Pullovers nach oben. Mein Blick bleibt auf dem Kuchen hängen. Dennis hat recht. Ich habe mich seit Jahren nicht mehr mit HIV beschäftigt. Es war irgendwie beinahe aus meinem Gedächtnis verschwunden. Im Grunde war ich froh und dankbar, als ich Elsa kennengelernt habe. Zu dieser Zeit war Aids immer noch so eine bedrohliche Sache, dass ich dieser Seite von mir nur selten Raum gegeben habe. Natürlich habe ich mir nicht bewusst ausgesucht, mich derart heftig in eine Frau zu verlieben, aber es gab durchaus Momente, in denen ich froh war, dass es genau so gekommen ist. Nach so vielen Jahren jedoch vor einem Scherbenhaufen zu stehen, ist nicht besonders angenehm. Immer wieder suche ich in Gedanken den Punkt, an dem sich alles geändert und meine Wahrnehmung sich verschoben hat. Wann ist aus Liebe Langeweile geworden und warum konnten wir uns irgendwann nicht mehr geben, was wir brauchten?
Gedankenverloren drücke ich meinen Finger in einen Tropfen des roten Zuckergusses.
»Hey«, sagt Veit leise und legt mir eine Hand auf die Schulter. »Alles in Ordnung?«
Ich hebe den Kopf und blicke geradewegs in seine Augen. Wir stehen viel zu nah. Es wäre leicht, mich nach vorn zu lehnen und vorsichtig nach seinen Lippen zu schnappen. Als könnte er meine Gedanken lesen, verfärbt sich sein Gesicht erneut. Dieser Moment ... ich wünsche mir so sehr, dass er das Kribbeln auch spürt.
»Du musst wirklich nicht aufräumen«, sagt er schließlich und zerstört die süße Seifenblase. Eilig dreht er sich zur Seite.
»Ich habe gerade darüber nachgedacht, wie wenig ich tatsächlich über HIV weiß. Mein Wissensstand ist irgendwann Anfang 2000 stehengeblieben. In den Medien ist das offenbar auch kein großes Thema mehr.«
»Wenn Dennis das hören würde, dann könntest du dich auf einen, mindestens zweistündigen ziemlich aggressiven Vortrag einstellen. Davon abgesehen. Du warst jahrelang verheiratet. Weshalb hätte dich das Thema interessieren sollen?«
»Ich glaube nicht, dass eine Ehe ein wirksamer Schutz ist. Meine Frau ist schwanger ... von einem anderen Mann. Das heißt, sie hat sich weder geschützt noch um Verhütung gekümmert. Wer sagt mir, dass sie das nicht schon vorher vernachlässigt hat?«
»Das tut mir alles schrecklich leid«, murmelt Veit und lächelt mich verhalten an. »Vielleicht solltest du wirklich einen Test machen. Nur zu Sicherheit.«
»Ja, vielleicht.« Augenblicklich ploppt die Erinnerung an das einzige Mal auf, als ich so einen Test gemacht habe. Es war die schlimmste Woche meines Lebens, obwohl ich eigentlich niemals ein Risiko eingegangen bin. Trotzdem hatte ich Angst und wurde nächtelang von Alpträumen gequält. Ein weiterer Punkt auf der Liste der Dinge, die ich demnächst in Angriff nehmen sollte. Möglicherweise können mich Veit oder Dennis dabei unterstützen. Ich schätze, ich könnte mit einem aggressiven Vortrag durchaus leben.
Erstaunlicherweise brauchen wir gar nicht sehr lange, um wieder Ordnung in die Küche zu bringen. Es fühlt sich ein bisschen wie im Büro an. Wir sind ein gutes Team und stehen uns nicht im Weg. Deshalb ist das Chaos auch beseitigt, als es an der Tür klingelt.
Als wäre ich hier zu Hause, gehe ich in den Flur und öffne dem Pizzalieferanten die Tür. Während er die letzten Stufen hochkommt, mustere ich ihn tatsächlich genauer. Ein attraktiver junger Mann mit schwarzen Haaren und dunklen Augen. Da die Pizzeria ein kleines Familiengeschäft ist, ist es vielleicht ein Enkel oder Neffe des Besitzers.
Ich spüre Veit hinter mir, bezahle die Pizza und drehe mich anschließend grinsend um.
»Du hast Recht. Er ist niedlich.«
Prompt verfärbt sich sein Gesicht. Neugierig und abschätzend schaut er mich an.
»Und theoretisch ... also wenn ... wenn Männer ... also ...«
»Nein, er wäre nicht mein Typ«, sage ich eilig und gehe schmunzelnd an ihm vorbei. Immer stärker setzt sich die Hoffnung in mir fest, dass diese Schwingungen in beide Richtungen funktionieren. Allerdings fehlt mir der Mut, alles auf eine Karte zu setzen.
»Wir können im Wohnzimmer essen«, ruft Veit mir hinterher. »Rechts die Tür. Ich hole das Bier aus der Küche.«
Ich öffne die erste Tür auf der rechten Seite und befinde mich in seinem Schlafzimmer. Der Anblick des Betts verursacht weiche Knie. Natürlich springt mein Kopfkino augenblicklich an und zeigt Veit und mich, wie wir uns gegenseitig über die Matratze schieben. Sehnsucht und Erregung fluten meinen Körper und erzeugen einen seltsamen Schmerz.

Eilig schließe ich die Tür und schaffe es gerade ins Wohnzimmer, bevor Veit ebenfalls eintritt.
Es ist ein gemütlicher kleiner Raum, der von einem breiten Sofa und einem riesigen Flatscreen dominiert wird. An den Wänden hängen Fotos. Alles ist weihnachtlich dekoriert. Festlich, aber keineswegs opulent oder aufdringlich.
»Was wollen wir gucken?«, erkundigt sich Veit und stellt das Bier auf den Tisch. Dann nimmt er die Fernbedienung und schaltet den Fernseher ein. Ich setze mich neben ihn und verteile die Pizzakartons.
Sein Netflix-Startbildschirm zeigt eine Serie, die ich auch sehr mag. Grinsend schaltet Veit sie ein, schnappt sich die Pizza, rutscht damit auf dem Sofa nach hinten und zieht die Beine.
Ich fühle mich plötzlich gehemmt. Es sind meine eigenen Gedanken und Wünsche, die mich in die Knie zwingen. Die Pizza wird in meinem Mund zu Pappe, die ich kaum hinunterwürgen kann. Mit aller Macht versuche ich mich auf die Serie zu konzentrieren, aber Veits Nähe ist so deutlich, dass mein Körper nervös flattert.
»Kommst du uns morgen auf dem Weihnachtsmarkt besuchen?«, fragt er und klingt so beiläufig und entspannt, dass ich richtig neidisch auf ihn bin.
»Wenn du mir ein Stück vom Kuchen aufhebst ...« Selbst ein vernünftiges Lächeln scheint mir nicht zu gelingen. Ich benehme mich wirklich idiotisch.
Plötzlich liegt seine Hand auf meinem Oberschenkel. Ich spüre die Wärme und halte instinktiv die Luft an.
»Es ist schön, dass du da bist«, sagt Veit leise. Das Blut rauscht in meinen Ohren und meine Kehle ist ganz trocken. Er nimmt mir den Pizzakarton aus der Hand und stellt ihn auf den Tisch. Dann sorgt er dafür, dass ich mich nach hinten lehne. In Anbetracht der tiefen Sitzfläche liege ich beinahe. Mein Herz trommelt so schnell und laut, dass Veit es vermutlich hören kann.
»Wenn ich falsch liege, dann sei bitte nicht sauer auf mich«, sagt er und klemmt die Oberlippe zwischen seine Zähne. »Du bist so angespannt, dass das ganze Sofa vibriert. Dabei kannst du dich bei mir wirklich entspannen, Thomas.« Seine Stimme ist wie eine Angelschnur, an der ich mich festhalte, damit ich nicht haltlos untergehe.
Veit schiebt ein paar Kissen in meinen Rücken und hilft mir dabei, eine bequeme Position zu finden. Dann kuschelt er sich an meine Seite. Seinen Kopf lehnt er gegen meine Schulter und eine Hand landet auf meinem Bauch. Zögerlich lege ich einen Arm um ihn und ziehe ihn dichter an mich heran. Veit seufzt leise, hebt den Kopf und lächelt mich an.
»Besser?«, fragt er. Ich nicke lediglich, denn mein Kopf ist vollkommen leer. Es ist nicht einfach nur besser ... es ist perfekt. Ich will, dass genau in diesem Moment, die Zeit stehenbleibt.

Kommentar schreiben

Kommentare: 3
  • #1

    Susan (Samstag, 07 Dezember 2019 17:46)

    Vielen lieben Dank für die gewonnene Weihnachtspost. Meine Mail an dich ist schon raus.����

    Ich liebe deine Weihnachtsgeschichten�. Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel.❤

  • #2

    Piccolo (Samstag, 07 Dezember 2019 17:53)

    Wow, ich habe nicht erwartet den ersten Kommentar hier zu schreiben.
    Es knistert ganz gewaltig zwischen Thomas und Veit. Beide trauen sich nicht wirklich den ersten Schritt zu tun.
    Nun ja, Veit ist ein bisschen mutiger und kuschelt sich an Thomas auf dem Sofa.
    Ich bin schon sehr auf den Weihnachtsmarktbesuch gespannt.

    Bis morgen!
    Piccolo

  • #3

    Bia (Montag, 09 Dezember 2019 21:33)

    WOW Es knistert... Mal sehen wie es weiter geht!