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Schreibübungen

Ich habe hier zwei kleine Schreibübungen für euch. Sie sind im Rahmen einer Challenge auf Instagram erschienen, die die Autorin Annika Bühnemann (www.vomschreibenleben.de) initiiert hat.

Es gab jeweils Vorgaben für die Szenen, die man dann unter dem Hashtag #inmeinemstil veröffentlichen konnte. Da mein Stil dort vor allem "in meinem Genre" bedeutet, war ich sehr motiviert ein bisschen queer in die überwiegend heteronormativen Geschichten zu bringen. Das war sozusagen noch ein kleiner zusätzlicher Kick.

Vorgabe: Ein Verbrecher entdeckt, dass seine Nachbarin ihn stalkt. (2000 Zeichen. Ich bin allerdings ein bisschen drüber, natürlich!)

 

Meine Version:

Said sah möglichst unauffällig durch die Lamellen der Jalousie nach draußen. Der Anblick der Frau, die über den Innenhof zu den Mülltonnen ging, ließ sein Herz schneller schlagen. Als sie plötzlich aufsah, konnte er die Anspannung kaum länger ertragen. Seitdem er in Deutschland lebte, hatte er zum ersten Mal das Gefühl, beobachtet zu werden. Said glaubte nicht an Zufälle. Ihr freundliches Lächeln sollte ihn in Sicherheit wiegen. Die Kontaktversuche hatte er rigoros abgewürgt. Keinem Fremden zu trauen, war für Said überlebenswichtig. Vielleicht stand die Frau in Verbindung mit seiner Familie, damit endlich zu Ende gebracht werden konnte, wovor er geflüchtet war.
Said wollte sich nicht länger schuldig fühlen. Er war kein Verbrecher. Nicht hier, wo er, dank Thomas eine Heimat gefunden hatte. Said hatte niemals damit gerechnet, dass es so sein würde. Die Angst, die sein bisheriges Leben geprägt hatte, trat mit Thomas in den Hintergrund. Thomas lockte ihn verständnisvoll nach draußen, zeigte ihm, dass ihre Liebe nicht verboten war.
»Kein Verbrecher.« Said seufzte schwer. Er wünschte sich, dass die Worte auch seinen Verstand erreichen würden, aber diese Frau ... Was, wenn sie beide in Gefahr schwebten? Wo konnten sie sich verstecken?
Die Frau blieb stehen, schaute zu ihm nach oben. Entsetzt wich Said zurück. Sein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen.
Plötzlich legten sich Arme von hinten um seinen Bauch. Ein warmer, vertrauter Duft hüllte ihn ein. Thomas schmiegte sich gegen seinen Rücken.
»Sie ist wieder da.« Said schloss die Augen. Er konnte die Panik in seiner Stimme nicht unterdrücken.
»Die unheimliche Stalkerin?«
»Ja, sie ist da draußen ....«
Mit sanften Druck drehte Thomas ihn um und suchte seinen Blick.
»Sie ist keine Bedrohung. Ich habe mit ihr geredet.« Ein belustigter Unterton sorgte dafür, dass Said wütend grummelte.
»Sie starrt mich an, als wüsste sie, wer ich bin. Meine Familie ...«
Thomas Hände umschlossen sein Gesicht. »Die Todesstrafe in deinem Land ist falsch. Ich bin so froh, dass du lebst.«
»Aber die Frau ...«
»Sie schreibt schwule Liebesgeschichten.«
Thomas ließ ihn los und ging zum Bücherregal. Kurz darauf flog ein Buch auf Said zu.
»Schwule Liebesgeschichten«, wiederholte er und betrachtete das Cover. »Ich wusste nicht, dass es so etwas gibt.«

 


Und hier ist Nummer zwei (leider ohne Bild)

Vorgabe: Clara 17, schulterlanges, blondes Haar, ein rundes Gesicht. Sie ist heimlich verliebt in den Lord. Der Lord betritt den Raum und fragt Clara etwas, das ihr peinlich ist.

Es ist nicht schwer zu erkennen, dass diese Vorgabe recht schwierig war, aber ich habe die Herausforderung angenommen und das ist dabei herausgekommen.

 

Meine Version:

Der Gedanke, Jan gleich wiederzusehen, sorgt dafür, dass mein Herz schneller zu schlagen beginnt und meine Handflächen feucht werfen. Nervös reibe ich über den Stoff meiner Jeans und versuche meine angespannten Nerven zu beruhigen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich jemals Hals über Kopf verlieben würde. Genau genommen entspricht er nicht einmal meinem Typ. Lange Haare, die er zu so einem Knoten zusammenbindet. Ein Jahr jünger als ich. Verwirrend in seiner Persönlichkeit, schüchtern ...
Trotzdem klopft mein Herz wie verrückt, wenn ich nur an ihn denke. Alles in mir sehnt sich danach, ihn näher kennenzulernen, zu begreifen, was ihn ausmacht und auszuprobieren, ob ich damit tatsächlich zurechtkomme. Ich weiß, dass es eine Herausforderung sein könnte. Bisher habe ich jedoch jeden gemeinsamen Moment genossen.
Ich atme noch einmal tief durch, dann betrete ich den Raum.
»Der Lord ist da!« Ich erkenne die Stimme sofort. Sie sorgt für ein flattriges Gefühl in meinem Bauch. Der Anblick lässt mich jedoch verwirrt innehalten. Etwas ist eindeutig anders als sonst. Große Augen mustern mich eindringlich. Ein unsicheres Lächeln umspielt die Lippen, die in einem satten Pink glänzen. Die blonden Haare fallen in großen Wellen über die Schultern. Es ist das erste Mal, dass ich diese Seite zu Gesicht bekomme.
»Der Lord ist erfreut, dich zu sehen«, antworte ich und hoffe, meine Stimme zittert nicht zu stark. Wenn man Johannes Lord heißt, muss man sich wohl mit solchen Wortspielereien abfinden, auch wenn es nur ein Name und kein Titel ist.
»Heute bist du also Clara«, stelle ich, überwältigt von dem ungewöhnlichen Anblick fest. Kaum habe ich die Worte ausgesprochen, erkenne ich, wie unangehm es für sie ist. Ihre Wangen laufen rot an und ein peinliches Schweigen erfüllt den Raum.
»Tut mir leid«, sage ich zerknirscht und überwinde die Distanz zwischen uns. »Ich schätze, der Lord braucht noch ein bisschen Nachhilfe in Sachen genderfluid.« Aus der Nähe erkenne ich Jans Gesichtszüge deutlich, aber heute ist es eben nicht Jan, sondern Clara, die mich anschaut und nervös über ihre Lippen leckt.
»Ich bin eine gute Nachhilfelehrerin, Johannes«, flüstert sie und haucht mir einen Kuss auf die Lippen.


Gefallen euch die kleinen Geschichten? Ich hatte auf jeden Fall viel Spaß beim Schreiben, denn die Herausforderung besteht nicht allein darin, eine passende Idee zu finden, sondern eben auch mit diesen wenigen Zeichen auszukommen. Ich habe quasi um jedes Wort mit mir selbst gerungen, gekürzt und verändert. Das Spiel mit der Sprache ist das, was mir am meisten beim Schreiben gefällt (jedenfalls bei so kurzen Geschichten).

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Kommentare: 2
  • #1

    Piccolo (Dienstag, 26 Mai 2020 08:12)

    Hallo Karo,

    mir gefällt die erste Geschichte am besten.

    LG Piccolo

  • #2

    Anna (Donnerstag, 11 Juni 2020 10:40)

    Liebe Karo,
    ich finde beide Geschichten klasse.�
    Die Umsetzung ist genial ich wäre kläglich gescheitert.
    Wünsche dir einen schönen Tag
    LG Anna