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Dritter Advent - Samstag

An diesem Wochenende sollte eigentlich schwängelbells dot com seine Pforten öffnen, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass der Besitzer des kleinen Onlineshops sauer auf mich ist und keine Lust hatte, mit mir zu kommunizieren. Mehrere Anfragen und immer dringlichere Bitten, da das Wochenende immer näher rückte, ließ er unbeantwortet und deutete lediglich mit grimmigen Blick auf das Buchcover seiner Geschichte, die ich bereits im vergangenen Jahr (oder schon im Jahr davor) angekündigt hatte.

Meine Entschuldigung und Erklärung, dass es ja allgemein mit dem Schreiben nicht so gut bei mir aussah, interessierten ihn nicht. Er knurrte nur etwas, das wie "ich bin auch mal dran, mich zu verlieben. Ich habe Liebe verdient!" klang, dann verzog er sich wieder in sein Reich aus Kerzenpenissen, sportlichen Rentieren und allerlei anderer Anzüglichkeiten und verschanzte sich hinter Bestellungen, die er dringend bearbeiten muss. 

Oh je... Er hat ja Recht und es tut mir leid. Vermutlich hätte ich ihm das Cover mit dem hübschen Mann nicht zeigen sollen, denn die Herzchen, die er daraufhin in den Augen hatte, bestärken nun seine Enttäuschung nachhaltig. 

Es ist ja nicht so, dass diese Geschichte keinen Anfang hätte, sie hat nur noch keinen Mittelteil und auch kein Happy End... 

Das, was ich 2023 geschafft habe, lässt mich vorsichtig zuversichtlich auf das neue Jahr schauen, aber es gibt ja leider keine Garantien und die Reihenfolge meiner Geschichten bestimmt weniger die Disziplin als vielmehr eine launenhafte, hormonelle Muse, die sich in ihrer Divenhaftigkeit auch nur schwer bestechen lässt. 

Während ich weiterhin versuche, Mister Schwängelbells zu beschwichtigen, wünsche ich euch einen weihnachtlichen und stimmungsvollen Samstag und hoffe, ihr habt nicht zu viel Stress am (im Grunde) letzten Adventswochenende.


11. 

»Du gibst also Backkurse?«, frage ich und greife nach einem Lebkuchenmännchen. Es ist sogar noch warm und der Guss klebrig. Der köstliche Geschmack von braunem Zucker und Zimt explodiert auf meiner Zunge. Ich schließe für einen Moment die Augen. Mein inneres Kind streckt den Kopf heraus und feiert dieses besonderen Augenblick voller Freude. »Wirklich verdammt lecker.«

»Es hat sich irgendwie so ergeben«, antwortet Martin. Als ich den Kopf hebe, starrt er mich mit großen Augen an und leckt sich über die Lippen. »Du bist wie in meiner Erinnerung«, nuschelt er. Seine Wangen färben sich dunkelrot und sein Kehlkopf hüpft aufgeregt.

»Leider trifft das auf dich auch zu«, murmle ich und versuche, bei seinem Anblick nicht den Verstand zu verlieren. 

»Tut mir leid, wie das alles gelaufen ist.« Er nimmt den Becher, auf dem ein pausbäckiger Weihnachtsmann auf einem Schlitten fröhlich winkt, in beide Hände. Der Duft von heißer Schokolade und Sahne dringt in meine Nase. Noch mehr Erinnerungen strömen auf mich ein. Martin und ich und heißer Kakao auf dem Dachboden bei meinen Eltern, eingehüllt in kuschlige Decken. Ein Kokon, in dem uns niemand etwas anhaben konnte.

In den vergangenen Jahren habe ich mir jeden Gedanken daran verboten und nun zerbröselt dieser Panzer wie Weihnachtsplätzchen vom Vorjahr. 

»Schätze, es ist nicht mehr zu ändern«, erwidere ich mit einem schiefen Lächeln. »Ist ja auch schon ewig her, also ...« Ich weiß nicht, wie ich den Satz beenden soll, ohne mich selbst zu belügen. Meine Sehnsucht nach ihm ist nicht verschwunden und der Schmerz auch nicht. 

»Wie geht es dir? Hast du ... hast du einen Freund?«

Eine Weile überlege ich, ob ich darauf tatsächlich antworten soll und schlürfe einige Schlucke Kakao.

»Kein Freund«, antworte ich schließlich tonlos. »Aber ich suche auch nicht unbedingt danach. Die Stadt bietet eine Menge Abwechslung, weshalb sollte ich mich da festlegen?« Ich klinge abgeklärter als beabsichtigt, sodass Martin tatsächlich kurz zusammenzuckt, eher er nickt.

»Verstehe, es gibt sicherlich einiges zu entdecken.«

»Ich war nicht untätig.« Verdammt, was rede ich nur für einen Müll? Natürlich habe ich die Vorzüge der Großstadt eine Zeit lang genossen, aber in erster Linie um zu vergessen. Leider war jeder Versuch zum Scheitern verurteilt, weil der Mann, der gerade neben mir sitzt, mein Herz geklaut hat und es nicht wieder rausrückt.

 

12. 

»Was ist mit dir und Amelie? Seid ihr inzwischen verheiratet? Kinder? Arbeitet sie auch hier im Hotel?« Jede Frage ist wie ein Stich ins Herz. Offenbar bin ich masochistischer veranlagt, als gedacht, denn eigentlich möchte ich gar keine Antworten hören. 

»Tja, was das betrifft ...« Martin seufzt und presst die Lippen zusammen. 

»Eigentlich will ich es gar nicht wissen«, wende ich eilig ein, stelle die leere Tasse zurück auf das Tablett und erhebe mich. Ich halte es keine Sekunde länger mit ihm auf dem Sofa auf. Vielleicht bin ich eine Dramaqueen, aber ich bin vor allem noch nicht erwachsen genug, um so zu tun, als hätte ich einen flüchtigen Bekannten nach Jahren wiedergetroffen. Demonstrativ gehe ich in Richtung Tür. Martin erhebt sich ebenfalls. Er mustert mich nachdenklich, seufzt erneut und nimmt das Geschirr mit.

»Es war ein Fehler«, sagt er leise, als er mir gegenübersteht. »Ich war jung, hatte Panik und wusste nicht, was meine Gefühle bedeuten. Wir waren beide so verdammt jung und ... Es war alles so verwirrend.« Er verstummt für einen Augenblick und schaut mich unsicher an. »Deine Eltern haben mir Angst gemacht und meine waren damals auch keine Hilfe. Ich denke, sie waren zuerst froh über Amelie und mich, aber inzwischen wissen sie, dass es niemals eine Frau an meiner Seite geben wird. Es war dumm von mir ...«

»Du musst dich nicht rechtfertigen. Jetzt nicht mehr«, unterbreche ich ihn und spüre, wie sich mein Brustkorb zusammenzieht. Meine Hände werden feucht und ich bekomme kaum Luft. Instinktiv reibe ich über meinen Oberkörper. 

»Ich wünschte, ich hätte damals begriffen, was ich heute weiß. Ich habe Amelie verletzt, nicht so sehr, wie ich dich verletzt habe. Es tut mir leid, Henry. Ich habe dich vermisst. Zugleich ist so viel geschehen. Der Kauf und die Restaurierung des Hotels hat meine ganze Kraft in Anspruch genommen. Wir haben so viel Energie in dieses Haus gesteckt, aber es hat sich gelohnt. Seit du wieder hier bist, spüre ich so verdammt deutlich, wie sehr ich dich vermisst habe. Es ist wie ein Puzzle, dessen Bild sich plötzlich offenbart und ...«

»Die Sache ist nur«, fahre ich ihn unwirsch an. »Ich bin nicht wieder zurück!«

 

13. 

Martin haucht mir einen Kuss auf die Wange, bevor er mein Zimmer verlässt. Die Haut, die er mit seinen Lippen berührt hat, prickelt auch Stunden später noch. Ich habe sogar den Eindruck, dass ich einen Hauch seines Parfüms immer noch wahrnehmen kann. So verwirrt, verletzt und voller Sehnsucht habe ich schon ewig nicht mehr gefühlt. Natürlich nicht. Niemand ist mir je wieder dermaßen unter die Haut gegangen.

Allerdings verwandelt sich der Fluchtgedanke der letzten Tage in so etwas wie Trotz. Denkt er wirklich, ich könnte ihm nicht widerstehen? 

»Ha«, lache ich idiotisch. Mein Leben verläuft perfekt. Wenn er glaubt, dass er nur mit seinen dunklen Wimpern klimpern braucht und meine Welt damit aus den Angeln hebt, irrt er sich. Da ist nichts mehr zwischen uns und das wird sich auch nicht ändern. 

Ich wiederhole den Vorsatz wie ein Mantra beim Zähneputzen, bete es idiotisch vor dem Einschlafen und am nächsten Morgen auf dem Weg in den Frühstückssaal, der proppenvoll mit Weihnachtsmarkttouristen ist. Einen Augenblick lang ärgere ich mich, dass ich nicht auf meinem Zimmer frühstücke. Ich werde mich jedoch nicht länger verstecken. Schon gar nicht am Wochenende, wo ich dann ja nicht mal Kontakt zu meinen Arbeitskolleginnen habe. 

Der junge Kellner vom Montag führt mich auch heute zu meinem Tisch. Trotz der vielen Menschen bekomme ich einen Platz mit Blick in den Garten in einer kleinen Nische. Bevor ich mich am Büffet bediene, bleibe ich einen Moment sitzen, lausche den Geräuschen. Die Vielzahl an Gesprächen klingt wie das Summen von Bienen in einem Bienenstock, untermalt mit klassischer Weihnachtsmusik. Ich schaue nach draußen. Auf der Wiese wurden drei Hütten im Halbkreis aufgebaut, die aussehen wie Lebkuchenhäuschen. Eine große Feuerschale steht in der Mitte und einen Grill entdecke ich auch. 

»Guten Morgen«, begrüßt mich eine viel zu vertraute Stimme. »Ich bringe dir Kaffee.«

»Danke.« Ich halte meinen Blick auf den Garten gerichtet. 

»Heute Abend findet unser kleiner Hofweihnachtsmarkt statt. Er ist nur für die Gäste des Hotels. Glühwein, Bratwürste, Lebkuchen. Außerdem verkauft meine Mutter ihre selbstgemachten Kerzen und Seifen. Wenn du magst, komm doch ab 17 Uhr runter. Es ist immer recht gemütlich am Feuer.«

 

14. 

Nach dem Frühstück setze ich mich ins Auto und fahre zu einem nahegelegenen See. Hier waren wir als Kinder oft. Damals, als zwischen meinen Eltern und mir noch alles in Ordnung war, als sie mich nicht wie behandelten, als hätte ich eine Krankheit, von der ich geheilt werden müsste. 

Ich zögere einen Moment, ehe ich den Weg einschlage, der rund um den See führt. Der Ausflug wird mich sicherlich nicht den ganzen Tag beschäftigen, aber die frische Luft tut gut und Bewegung sowieso. 

Für gewöhnlich fällt es mir nicht schwer, die Gedanken an meine Eltern zu verdrängen. Es ist auf jeden Fall leichter, als Martin aus meinem Kopf zu bekommen.

Der See ist noch wie in meiner Erinnerung. Es gibt einen offiziellen Sandstrand und viele versteckte Buchten. In der Mitte ragt eine kleine Vogelinsel auf. Einige Bäume stehen direkt am Ufer. Früher sind wir auf die Äste geklettert und von dort in den See gesprungen. Da es ein ehemaliger Baggersee ist, wird es schnell tief, perfekt für einen mutigen Sprung.

Es ist ganz still, nur hin und wieder zwitschern einige Vögel. Fünf Enten schwimmen quakend davon. Ich lasse mir Zeit, genieße die Natur. Der Himmel spiegelt sich in der glatten Oberfläche. Es riecht nach Schnee, aber bisher hat sich am Himmel noch keine Wolke gezeigt. Als ich am Strand vorbeikomme, hat ein Glühweinstand geöffnet. Ich bestelle einen alkoholfreien Punsch. Mit einem Becher, aus dem es nach heißem Apfelsaft und Zimt duftet, setze ich mich in einen der Liegestühle, lausche der leisen Weihnachtsmusik und betrachte die friedliche Natur. 

Als die Sonne allmählich untergeht, mache ich auf den Weg zurück und entdecke an einer Litfaßsäule ein Plakat für ein heute Abend stattfindendes irisches Weihnachtskonzert. Die Kirche steht mitten im Dorf. Ich habe Glück und bekomme noch eine Karte. Die Band ist großartig. Die irische Musik wärmt mein Herz und lenkt mich von den düsteren Gedanken ab. Ich bin nicht religiös, aber die mystische Stimmung öffnet mein Herz. Mir wird bewusst, dass ich nicht länger davonlaufen möchte. Ich bin inzwischen erwachsen. Das hier ist meine Chance, um endlich abzuschließen und mich mit meiner Vergangenheit zu versöhnen. Mein Herz von Martin zurückzuholen und auch den Ballast mit meinen Eltern abzuschütteln.


Und hier kommt noch die Gewinnerin vom 2. Advent:

Herzlichen Glückwunsch 

Piccolo II

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Kommentare: 3
  • #1

    Karin Bill (Samstag, 16 Dezember 2023 10:48)

    Herzlichen Glückwunsch an Piccolo, viel Mitgefühl und eine Umarmung für Mister Schwängelbells und ein tolles Adventswochenende uns allen ♥️

  • #2

    Anja Hoffmann (Samstag, 16 Dezember 2023 11:54)

    Herzlichen Glückwunsch an Piccolo II. Bezüglich Mr. Schwängelbells drück ich Dir ganz fest die Daumen das er sich ganz bald beruhigt und wieder mit Dir spricht. Und auch wenn ich Mr. Schwängelbells nicht kenne, schicke ich ihm hierüber eine ganz dicke, liebevolle Umarmung. Es läuft halt im Leben nicht immer alles nach Plan.
    Habt alle einen schönen Samstag. ❤

  • #3

    Piccolo II (Samstag, 16 Dezember 2023 16:04)

    Liebe Karo und alle anderen, vielen Dank für den Gewinn und die Glückwünsche. Ich freue mich sehr darüber.
    Mr. Schwängelbells wünsche ich von Herzen, dass sein Wunsch 2024 in Erfüllung geht. Es heißt doch, was lange wärt wird gut.
    Henry kämpft weiter mit seiner Vergangenheit und den Gefühlen für Martin. Damals war einfach nicht die richtige Zeit. Vielleicht ist sie ja jetzt gekommen.
    Bis morgen und viele Grüße,
    Piccolo II